Wie bei allen alten Wallfahrten verlieren sich auch beim Kötztinger
Pfingstritt die Anfänge im Legendenhaften. Der Versehgang mit dem
Allerheiligsten nach Steinbühl in Begleitung der Bürgerssöhne
ist ebensowenig rational beweisbar wie die Zeitangabe 1412. Die im Jahre
1782 renovierte Marktfahne mit dem holprigen Hinweis „seinen anfang deßen
Ritt 1412“ reicht als Beweismittel nicht aus, da der dazwischenliegende
Zeitraum zu groß ist. Für den Pfingstbrauch ist dies aber unerheblich.
Wer ihn lebt, braucht keine Begründung!
Pioniere der Pfingstrittforschung
Anders die Geschichtsforscher, diese Hinterfrager, sie möchten
der Sache auf den Grund gehen, nach schwarz auf weiß Geschriebenem
suchen. Was an schriftlichem Quellenmaterial aus der Zeit vor 1800 bislang
bekannt war, verdanken wir den beiden Pionieren unter den Pfingstritt-Chroni-sten,
dem in Cham geborenen hochverdienten bayerischen Geschichtsschreiber Josef
Rudolf Schuegraf und dem Kötztinger Kooperator Peter Riederer.
Als Schuegraf um 1840 an einer „Chronik des Marktes Kötzting“
arbeitete, entdeckte er im Regensburger Diözesanarchiv den Schriftwechsel
von 1754. Demzufolge war dem bischöflichen Ordinariat zu Ohren gekommen,
daß alljährlich zur heiligen Pfingstzeit nach dem „Umgang“ um
die Getreidefelder mit dem Sanctissimum einem aus der Gemeinde ein Kranz
von Ähren übergeben werde. Hierauf soll „ein Dantz angestellt
werden“. Der Pfarrer habe Stellung zu nehmen. Darauf schrieb Pater Innozenz
Mayer den durch Schuegraf bekanntgemachten Bericht, wonach seit unverdenklichen
Jahren am Pfingstmontag eine Prozession mit dem hochwürdigen Gut von
Kötzting nach Steinbühl mit dem Pferd gehalten wird und die vier
Evangelien abgesungen werden. Warum auf dem Rückweg einem Bürgerssohn
ein Kränzlein, „so an dem hochwürdigen Gut hanget“, überreicht
werde, konnte er nicht hinreichend erklären. Er fügte aber an,
daß dieser Jüngling samt anderen seinesgleichen mit seinem Kränzlein
prangend im Markt herumgeht, Geld sammelt und es sich am Abend im Wirtshaus
mit Trinken und Tanzen oft bis in die späte Nacht hinein gut gehen
läßt.
Jubiläen sind Anlaß zu geschichtlicher Reflexion. 1912 feierten
die Kötztinger die „Halbtau-send--jahr-Feier des Pfingst-Rittes“.
Den Vorsitz im die Feier vorbereitenden „Pfingstrittkomité“ hatte
Pfarrer Franz Xaver Nagler übernommen. Und sein 1. Kooperator Peter
Riederer steuerte die historische Hintergrundinformation bei. Er hatte
im Markt- und Pfarrarchiv gründlich und erfolgreich recherchiert und
veröffentlichte seine Forschungsergebnisse in elf Folgen im Kötztinger
Anzeiger (9. März – 29. Mai 1912). Im letzten Artikel wertete er die
„Kammer-Rechnungen des Churfürstl. Bann-Markts Kötzting“ aus
und stellte das älteste Beweisstück für den religiös-sakramentalen
Charakter des Pfingstrittes vor, eine Eintragung auf den Ausgabenseiten
der Marktrechnung von 1670: „Den Burgers Söhn und khnechten, welche
am Pfingstmontag mit dem Hochheil. guet zum Stainpichel geritten – 12 Kreuzer.“
Schallmauer durchbrochen
Halten wir fest: Das Jahr 1670 war bis auf unsere Tage herauf die Schallmauer
der Pfingst-ritt-for-schung. Und Peter Riederer konnte beweisen, daß
der Ritt nach Steinbühl schon damals ein religiöses Ereignis,
kein weltliches Tun war. Bleibt noch zu ergänzen, daß letzteres
bereits seit dem Jahre 1724 auch in Regensburg bekannt sein mußte.
Damals ließ der Weihbischof Gottfried Langwerth von Simmern eine
Bistumsbeschreibung erstellen, in der neben vielem anderen auch die Bittgänge
und Wallfahrten jeder Pfarrei aufgelistet sind. Bei Kötzting finden
wir unter insgesamt 22 Prozessionen das Jahr über an zehnter Stelle:
„in feria secunda Pentecostes processio equestris cum venerabili in Stainbichl“
(am Pfingstmontag eine Prozession zu Pferd mit dem Allerheiligsten nach
Steinbühl).
Einem jener glücklichen Zufälle, die dem beharrlich Suchenden
von Zeit zu Zeit geschenkt werden, ist es zu verdanken, daß der Arbeitskreis
Heimatforschung die erwähnte Schallmauer durchbrechen kann. Als Clemens
Pongratz im Landshuter Staatsarchiv ein Findbuch verlangte, gab man ihm,
da es gerade ein anderer in Gebrauch hatte, ein älteres, eigentlich
schon ausgedientes. Dort entdeckte er den Hinweis auf einen Kötztinger
Marktrechnungsband von 1647. Und nach langem Suchen seitens des Archivpersonals
wurde der Band im Magazin gefunden. Eigentlich durfte er nicht existieren
– er hatte keine Nummer (Signatur)! Was interessiert einen Kötztinger
als erstes? Der Pfingtritt! Und siehe da – auf der Folienseite 33 ist zu
lesen: „Item Pfingst Montag den Jhenigen Persohnen, so damalls in be(g)laittung
des heilligen Guthes auf den Stain Püchel gerithen, zur Verehrung
geben 30 Kreuzer.“
Der Eintrag ähnelt dem von 1670. Es sind aber auch deutliche Unterschiede
auszumachen. Im 23 Jahre älteren Text begleiten nicht Bürgerssöhne
und Knechte das Allerheiligste nach Steinbühl, sondern allgemein „Personen“.
Und sie bekommen aus der Marktkasse mehr als das Doppelte – einen halben
Gulden, obwohl der 30jährige Krieg immer noch keinen Frieden gefunden
hatte.
Pfingstlreiten nicht gestattet
So erfreulich dieser Rechnungsvermerk ist, in umso größere
Ratlosigkeit und Verwirrung stürzt uns eine weitere, nur sieben Jahre
ältere Aktennotiz. Sie wurde uns während der Vorbereitungsphase
für das Pfingstritt-Museum bekannt. Im sogenannten Rentmeister-Umrittprotokoll
von 1640 steht kurz, bündig und herrisch: „Das Pfingstlreithen ist
heur nit gestatt(et) worden.“ Unsere Betroffenheit wird noch größer,
wenn wir ein paar Seiten nach vorne blättern. Dort finden wir unter
„Neukhürchen“ (unserer Ausdrucksweise angepaßt): Weil das Pfingstlreiten
am heiligen Pfingsttag im Brauch ist, soll der Pfleger die Abschaffung
allen Ernstes verfügen. Falls dem einen oder anderen dennoch danach
gelüstet, soll er sofort exemplarisch bestraft werden.
Was haben wir davon zu halten? Sah doch der damals regierende Kurfürst
Maximilian streng darauf, daß katholischer Brauch gepflegt wurde.
Seit seiner Regierungsübernahme 1597 hatten die Umrittsbeamten auf
ihren Visitationen im Land draußen ausdrücklich zu kontrollieren,
„ob die Creuzgänge und andere gewonliche Prozessiones ordentlich verrichtet
werden und ob die Obrigkeiten denselben ebenmäßig beywohnen“.
Gerade auf dem Umritt im Jahre 1640 tadelte der Straubinger Rentmeister,
daß in Neukirchen die geringe Teilnahme an den Prozessionen in der
Kreuzwoche (Woche um Christi Himmelfahrt) zu Klagen Anlaß gab. Wie
kommt dann der gleiche Beamte dazu, das „Pfingstlreiten“ zu verbieten?
Die Antwort kann nur sein: Das hier gemeinte „Pfingstlreiten“ war keine
oder war noch keine religiöse Prozession. Es mußte sich vielmehr
um eines jener Pfingst- und Reiterspiele handeln, die vom schwäbisch-alemanischen
Raum über Bayern bis Böhmen und Mähren allenthalben im Brauch
waren, bei denen die Pfingstl, Pfingstlümmel, Wasservogel, der König,
der Spaßmacher, der Wettritt–Gewinner ihre Rollen spielen und
Geld für Trunk, Tanz und Schmaus sammeln durften. Josef Rank hat ein
soches „Pfingstwettrennen“ im Böhmerwald anschaulich beschrieben,
und Elemente dieser Pfingstspiele finden sich heute noch im „weltlichen“
Programm des reichen Kötztinger Pfingstbrauchtums. Gegen diese Lustbarkeiten
zielte das obrigkeitliche Verbot. Und der gesetzliche Hintergrund waren
kurfürstliche Mandate z.B. von 1625 und 1635. Da wurden, um der Unsittlichkeit
Einhalt zu gebieten, Jugendausflüge abgeschafft, das Tanzen auf dem
Lande und das Zechen an Sonn- und Werktagen verboten, der Aufwand auf Festen
eingeschränkt, Wettrennen zu Fuß und Pferderennen (!) strikte
untersagt.
Zwei Hypothesen
An dieser Stelle unserer Überlegungen stellt sich die Kernfrage:
Wo im pfingstlichen Brauchtumsgeflecht, wo in seiner Entwicklungsgeschichte
ist die religiöse Komponente, die Reiterwallfahrt nach Steinbühl,
einzuordnen?
Zwei Hypothesen sind denkbar.
Entweder: Das religiöse Kernstück des heutigen Kötztinger
Pfingstritts, der Bittgang zu Pferd, wurde zwischen 1640 und 1647 auf Vorschlag
oder zumindest unter Mitwirkung des Pfarrers neu eingeführt. Pfarrer
war damals der Rotter Benediktiner Pater Michael Schneller. Er hatte im
fraglichen Zeitraum nur ein Jahr lang, 1642, einen Pater als Kooperator
zur Seite. Das Priorat stand gerade in seinen mühsamen und schwierigen
Anfängen.
Oder: Die Reiterwallfahrt nach Steinbühl, an der Spitze der Geistliche
mitsamt Hostienmonstranz und Kränzlein, begleitet vom Gebet der Reiter,
mit den vier Evangelien (wie bei der Fronleichnamsprozession und dem Flurumgang
in der Bittwoche), existierte im 1640er Kötzting und vorher schon
parallel zum „weltlichen“ Pfingstlreiten.
Für die zweite These läßt sich bei aller gebotenen
Achtsamkeit ein weiterer Archivfund der letzten Tage heranziehen. Im Rechnungsbuch
des Landgerichts Kötzting vom Jahre 1590 ist zu lesen: „Hanns Fuchs
Burger zu Közting, umb das er Montags Frue, In den Heiligen Pfingstfeürtagen,
als Herr Pfarrer denn Gottsdienst am stainpichl verricht, voller weis mit
einer Druml Im Marckht umbgezogen, unnd darob druzige wortt ausgeben, sambt
dem das er drei Tag unnd nacht In der von Közting Burgerstraff gelegen,
gestraft p(er) 4 S(chilling) R(egensburger) Pfennig.“ Da hatte also der
Kötztinger Bürger Hans Fuchs die feiertägliche Ruhe am Pfingstmontag
des Jahres 1590 gestört. Er zog besoffen im Markt herum, haute auf
eine Trommel ein, führte trutzige Reden, und das ausgerechnet zu der
Zeit, als der Pfarrer in Steinbühl den Gottesdienst feierte. Das Bubenstück
wurde für so schwerwiegend gehalten, daß ihn die Marktobrigkeit
drei Tage und Nächte einsperrte und ihm der Landrichter obendrein
eine Geldstrafe im Wert von etwa zwei Tagelöhnen aufbrummte.
Vom Pfingstritt ist hier ausdrücklich nicht die Rede. Aber es
muß doch eine besondere Bedeutung haben, wenn der Zeitpunkt der Ruhestörung
mit der Gottesdienstzeit angegeben wird und wenn obendrein betont wird,
daß der Pfarrer an diesem Pfingstmontag 1590 die Messe in Steinbühl
las, nicht in Kötzting. Und die Strafe, sogar von zwei Obrigkeiten
verhängt, ist zusammengenommen ziemlich gesalzen. Hatte Hans Fuchs
mit seinen trutzigen Reden ein besonderes, allen anderen heiliges Ereignis
diffamiert, den Pfingstritt?
Eine endgültige Antwort findet die Frage nach den Ursprüngen
des religiösen Kernstücks im Kötztinger Pfingstbrauchtum
trotzdem noch nicht. Bleibt die Hoffnung auf weitere Annäherungen
unter geneigter Mithilfe des Geschichtsforschers Zufall!
Quellen und Literatur:
Staatsarchiv Landshut, Marktrechnung Kötzting 1647,
ohne Signatur.
–, Rentmeister Umrittsprotokoll 1640 (Rentkastenamt
Straubing P 9)
–, Landgericht Kötzting, Rechnungsband
1590
Rudolf Schuegraf: Chronik des Marktes Kötzting (1073–1818),
verfaßt um 1840, veröffentlicht von Dr. R. Schmutzer 1938 im
Kötztinger Anzeiger.
Peter Riederer: Pfingst–Ritt, Kötztinger Anzeiger
Nr. 20–43, 1912.
Manfred Heim: Beschreibung des Bistums Regensburg von
1723/24, Regensburg 1996, S. 644.
Siegmund Riezler: Geschichte Baierns, Band 5, Gotha
1878, S. 18 ff.
Dietz-Rüdiger Moser: Wie aus Reiterspielen das Pfingstreiten
wurde, Beitr. zur Gesch. Lkr. Cham 1992, S. 73 ff.
Martin Ruf OSB, Profeßbuch des Benediktinerstiftes
Rott am Inn, St. Ottilien 1991.