Ludwig Baumann
 

„ . . . zu meinem Entsetzen einen gußeisernen Brunnen“

Mariensäule auf dem St. Veitsplatz – Zinkguß gegen Bildhauerarbeit                 

Im November 1901 treffen sich in Regensburg zufällig zwei Kötztinger, die sich lange nicht mehr gesehen hatten, der Magistratsrat Ludwig Hofbauer und August Henneberger. Der 28jährige Henneberger, der sich seit zehn Jahren in München aufhält und gerade sein Studium der Bildhauerei abgeschlossen hat, läßt sich Neuigkeiten aus der Heimat erzählen. Hofbauer kommt auf den Bau der neuen Wasserleitung zu sprechen, der die Kötztinger zur Zeit stark beschäftigt, ihn aber im besonderen Maße, da er Mitglied des fünfköpfigen Bau-Komitees ist. Die Planung für die Hochdruckleitung hat das königliche Wasserversorgungsbüro erstellt, die Bauausführung wurde vor 8 Wochen der  Passauer Firma Habeck übergeben. Als Krönung des 61000 Mark teuren Projekts mit 110 Hausanschlüssen soll am oberen Marktplatz ein Zierbrunnen angelegt werden. Einen gußeisernen Brunnen stellt man sich vor.
Wieder in München, schreibt August Henneberger einen langen Brief an seinen „Herrn Vetter“, den Bürgermeister Michael Drunkenpolz (zur Klarstellung: Der Bildhauer und spätere Professor in Hamburg August Henneberger ist nicht zu verwechseln mit seinem Neffen Philipp August Henneberger, dem kunstreichen Maler unserer Tage!). Der junge Bildhauer legt dar, daß er sich schon lange mit dem Gedanken an einen schönen Brunnen auf dem oberen Marktplatz beschäftigt. Aber jetzt erfahre er, daß die Kötztinger „zu meinem Entsetzen einen gußeisernen“ aufstellen wollen. Obwohl der Brief sehr höflich gehalten ist und der Herr Vetter mit Sie angesprochen wird, bringt Henneberger sein „Entsetzen“ überdeutlich zum Ausdruck. Jedesmal, wenn er das Eigenschaftswort „gußeisern“ gebrauchen muß, unterstreicht er es dreimal heftig.
„Denkmal in einem soliden Material“
Und er bringt einen Gegenvorschlag. Er ist bereit, für seinen Heimatort ein schönes Denkmal zu schaffen „in einem soliden Material, nämlich in Stein“. Nur die Materialkosten und die reine Arbeitszeit müßten ihm vergütet werden. Er rechne mit 1500 bis 2000 Mark. Die Arbeit traue er sich zu, „da ich während meiner 10jährigen Tätigkeit in München sowohl im praktischen Arbeiten als auch beim Studium soviel profitiert habe, um angeben zu können, was schön und schlecht“ ist. „Es müßte doch jedem intelligenten Menschen Vergnügen machen“, appelliert er an den Kunstverstand, „wenn er sieht, das ist mit Geist und Hand entstanden und nicht nach Dutzenden gemacht“.  Zur Veranschaulichung seiner Idee legt Henneberger eine gekonnt gezeichnete Farbskizze bei: die Veitskirche mit den benachbarten Häusern, davor ein Säulenbrunnen mit einem geharnischten Ritter.
Offensichtlich blieben Hennebergers Vorstellungen zunächst nicht ungehört. Nach einem Vierteljahr (5. 2. 1902) schrieb er aus München: „Mit großer innerlicher Freude bin ich von meinem Heimatorte abgereist, nachdem mir auch die älteren Herren zu meinem Unternehmen ihr Vertrauen schenken wollen.“ Mit detaillierten Kosten- und Materialangaben und der Versicherung, den Brunnen bis Pfingsten 1903 fertigstellen zu können,  schickte er einen zweiten, großformatigen Entwurf (siehe Abbildung). Aus der Mitte des alten Brunnkars, das von einem geschmiedeten Gitter eingefaßt ist, erhebt sich ein Granitsockel mit einer barocken Säule. An der Hauptfront des Sockels ist das Portrait „Seiner kgl. Hoheit des Prinzregenten“ angebracht, auf der Säule steht St. Georg, der Drachentöter, in Muschelkalk.
Mit dieser Handzeichnung und dem Begleitbrief  bricht die im Stadtarchiv dokumentierte Zusammenarbeit zwischen Henneberger und der Marktverwaltung abrupt ab. Kein Antwortbrief, keine Absage! Auch im Beschlußbuch des Magistrats findet das Angebot des jungen Bildhauers mit keinem Wort Erwähnung. Gesprochen haben sie wohl darüber. Das großformatige Zeichenpapier zeigt an den Ecken mehrmalige Einstiche von Reißzwecken. Man hat den Plan wiederholt an die Wand geheftet und diskutiert. Die Figur auf der Säule ist mit Bleistift schräg durchgestrichen. Wollte man von Anfang an eine Madonna statt eines hl. Georg? Warum hat man dies Henneberger nicht gesagt? War sein Projekt zu teuer? Oder hat man dem jungen Künstler die Arbeit nicht zugetraut? Er ging ja schon mit achtzehn Jahren nach München, hat dort zehn Jahre lang gelernt und studiert, aber noch keine Arbeit dieser Größenordnung ausgeführt. Der Auftrag aber hätte seiner Karierre einen Anschub gegeben. „Als geborener Kötztinger hoffe ich aus Liebe zu meiner Vaterstadt auch mit geringen Mitteln etwas Einfaches aber trotzdem Geschmackvolles herstellen zu können. Und ich bin überzeugt, daß stets Alt und Jung vom Bayr. Wald Freude an diesem Brunnen haben wird, nachdem bis jetzt sämtliche Ortschaften des Bayr. Waldes nicht im Besitze eines derart ausgeführten Brunnens sind.“
„Eine Statue der Muttergottes in Kunstguß“
Ernsthafte Absichten, den Brunnen bei Henneberger in Auftrag zu geben, hatten die Marktväter offensichtlich zu keiner Zeit. Nur wenige Tage, nachdem sein Projektvorschlag eingetroffen war, forderten sie beim „Magistrat der königlichen Haupt- und Residenzstadt München“ Anschriften von Firmen an, „denen die Aufstellung einer Statue der Muttergottes in Kunstguss übertragen werden kann“. Daraufhin schickte die Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern eine Liste mit sechs einschlägigen Unternehmen. In der Sitzung vom 22. April 1902 wählte der Magistratsrat aus dem Katalog der Mayer’schen königl. Hofkunstanstalt München die Madonna, Modell Nr. 126, 180 cm hoch, in Zinkguß, ziseliert und blattvergoldet zum Preis von 850 Mark.
Größeres Kopfzerbrechen und viel Schreiberei bereitete den Verantwortlichen im Markt die Säule, auf der die Madonnenstatue thronen sollte. Man plante eine solche aus gediegenem Granitstein. Die Mayer’sche Hofkunstanstalt empfahl einen Münchener Steinmetzbetrieb wegen der reibungsloseren Zusammenarbeit am Ort. Der war den Kötztingern zu teuer. Darauf wurden Kostenanschläge eingeholt in Regensburg, Cham und Hötzelsried bei Arnbruck. Das Jahr ging um, aber nichts vorwärts. Die Zeit drängte, wenn zu Pfingsten 1903 der Brunnen stehen sollte. Noch im Februar wollte der Magistrat weitere Angebote einholen. Da riß dem Gemeindekollegium, dem zweiten Ratsgremium, die Geduld. Es forderte die Marktverwaltung auf, auf Verhandlungen mit weiteren Firmen zu verzichten und „für eine schöne Eisensäule und einen Granitunterbau Sorge zu tragen“ und um „der Dringlichkeit der Sache wegen vor weiterer Beschlußfassung abzusehen“. Kurz danach wurde bei der Eisengießerei Kustermann in München eine Brunnensäule, 3,30 Meter hoch, Modell N. 300 E, bestellt.
Die rechtzeitige Lieferung wurde durch die Kötztinger noch einmal gefährdet, weil ihnen am 9. Mai – am letzten Drücker also, der Pfingstsonntag war der 31. Mai – einfiel, man sollte an der Säule zusätzlich zwei Arme anbringen für eine Straßenbeleuchtung. Genau um die gleiche Zeit nämlich war der Wiesmüller Anton Staudinger dabei, den Markt mit „elektrischer Beleuchtung und Kraft-abgabe“ auszustatten. Noch einmal in Zeitnot brachte die Münchener Firma die Bestellung von zwei Schrifttafeln mit einer Widmung für den Stifter der Madonnenfigur, Johann Lindner in Sperlhammer, und dem Gedenken an den Wasserleitungsbau 1902. Elf Tage vor Pfingsten gingen Telegramme und zur Absicherung zusätzlich ein Eilbrief nach München mit dem dringenden Auftrag, die Säule mit den Beleuchtungsarmen und die Madonnenfigur sofort zur Bahn zu bringen und die Lampen und Tafeln nachzuschicken. Man habe die Einladungen zum Pfingstritt mit dem Programmpunkt „Einweihung des Marienbrunnens“ bereits in ganz Bayern verschickt.
Brunnenkar vom Jahre 1800
Die neue Wasserleitung veränderte das Gesicht des Marktes auch über der Erde. Die jahrhundertealten Brunnenkare, an günstigen Standorten über dem ganzen Markt verteilt, verschwanden. „Die Quadersteine der Marktbrunnen mit Ausnahme des Brunnens an der St. Veitskirche“, lesen wir im Ratsprotokoll vom 18. März 1902, „sind zu versteigern, ebenso die Trogbrunnen.“ Die „Ecksteine und Zwischenstücke“ wurden für den gemeindlichen Bedarf reserviert. Wer offenen Auges durch die Stadt geht, entdeckt da und dort Reste dieser alten Brunneneinfassungen. Der Badbrunnen vor der Trunkenpolzschmiede wurde im Laufe des Sommers 1903 entfernt. Wo es sinnvoll war und kein Schaden am Marktpflaster verursacht wurde, riß man auch die Bleirohre (!) der alten Wasserleitung von 1866 heraus. Die als Steinkanäle ausgeführten Hauptleitungen aus diesem Jahr blieben, wo sie nicht im Wege waren, unbeschädigt. Ein Steinkanal „in beträchtlicher Länge“ hatte die Quellen aus der „Dimpflweiherwiese“ erschlossen.
Versteigert wurden auch die Bäume am „Veitskirchenplatze“. Sie paßten nicht mehr zur neuen Platzgestaltung mit dem Marienbrunnen. Die weite Brunneneinfassung auf achteckigem Grundriß, in Form eines Oktogons, wurde in den neuen Marienbrunnen integriert. In diesem Zusammenhang erfahren wir aus dem Beschlußbuch des Magistrats den alten Namen dieses Brunnens – St. Johannisbrunnen. Dieses oktogonale Brunnkar wurde im Jahre 1800 aufgestellt. Das weist die mit römischen Ziffern an der Frontplatte eingemeißelte Jahreszahl aus. Darüber informiert uns auch Karl von Paur in seiner Chronik des Marktes Kötzting. Zum Jahr 1800 vermerkt er: „Bei der großen Schadhaftigkeit des Brunnenkars im oberen Markte wurde die Herstellung eines solchen beschlossen und die Ausführung dem Steinmetz Lorenz Stadler, Bodenmais, in Accord um 490 f (Gulden) übergeben. Weiters sind Kosten erlaufen an den Steinbruchbesitzer Gg. Karl in Blaibach Äquivalent (Ausgleich) 12 f, für Leinöl 5 f 30 x (Kreuzer), für Fuhrlöhnung 73 f 24 x. Bei diesem Anlasse ist die zunächst gestandene hölzerne Feuerrequisitenschupfe, worin die zwei Feuerspritzen befindlich waren, abgebrochen und entfernt worden.“
„Eisengitter zur Verhütung von Unglücksfällen“
Kehren wir zum Jahr 1903 zurück. „Zur Verhütung von Unglücksfällen“ wollte man den Marienbrunnen mit einem Gitter absichern. Dies war möglich, weil er „keinen Nutzzwecken dienen“, sondern „vielmehr ein Zierbrunnen werden sollte“. Vorher, als die Bewohner des oberen Marktes für Mensch und Vieh das Wasser aus dem Brunnentrog schöpften, wäre ein Gitter hinderlich gewesen. Jetzt hatten sie Hausanschlüsse. Es gab Überlegungen, dieses Gitter wie die Säule aus Gußeisen fertigen zu lassen. Bald stellte sich aber heraus, daß ein handgeschmiedetes billiger kam, da die in den Eisengießereien vorrätigen Modelle den Maßen des Kötztinger Oktogons nur mit großem Aufwand anzupassen waren. Also forderte die Marktverwaltung von den vier Kötztinger Schlossermeistern Haas, Schötz, Schwarz und Heigl Entwürfe und Kostenanschläge an. Der Magistrat aber war mit den Skizzen der Kötztinger nicht zufrieden und wandte sich an die Mayer’sche Kunstanstalt um Hilfe: „Da es sehr bedauerlich wäre, wenn ein Teil des Brunnens die Harmonie des Gesamtbildes stören würde, gestatten wir uns – ermutigt durch das uns so oft bewiesene geistige Entgegenkommen – die ergebenste Bitte um baldmöglichste Übermittlung einer kleinen Skizze zu dem anzubringenden Gitter zu stellen. Es besteht dahier der Wunsch, daß das Gitter möglichst hoch gemacht wird.“ Die Firma, geschmeichelt vom Lob aus dem Bayerischen Wald, schickte statt einer „kleine Skizze“ einen auf einem großen Bogen recht ansprechend gezeichneten Entwurf (siehe Abbildung). Die Ausführung der Schmiedearbeit wurde dem Schlossermeister Franz Schwarz übertragen. Daß es dem Brunnen zur Zierde gereichte und dem Veitsplatz zur Verschönerung, bestätigen alte Ansichtskarten und Fotos.
Die Kosten für den Marienbrunnen sind im Kassabuch der Wasserleitung von 1903 aufgelistet. Die Mayer’sche Hofkunstanstalt, München, berechnete für die Muttergottesstatue 850 Mark und für die Fracht 20 Mark. Aber die Figur belastete die Marktkasse nicht. Sie war eine Stiftung des Privatiers Johann Lindner. Er war Besitzer des Sägewerks beim Zittenhof und hatte sich in Sperlhammer ein Haus als Ruhesitz gebaut. Brunnensäule, Wandarme, Schrifttafeln und Zubehör lieferte die Münchener Firma Kustermann um 648,21 Mark. Für das Gitter bekam der Kötztinger Franz Schwarz 260 Mark, und Wilhelm Pittoni, auch von hier, verlangte „für die Herstellung des Betonsockels zum Brunnen und des Brunnganges 85,50 Mark. Schließlich mußten noch 20,35 Mark dem hiesigen Zimmermann Josef Holzer und Genossen für das „Gerüst zum Aufbau der Brunnensäule“ bezahlt werden. Für die Geamtkosten errechnete sich die Summe von 1884,06 Mark. Zum Vergleich: Bildhauer Henneberger hatte für Sockel, Säule und Figur 1500 bis 2000 Mark veranschlagt.
Gußeisen hin, Bildhauerarbeit her! Der neue Marienbrunnen erfüllte die Kötztinger mit Stolz und Freude und erregte in der Nachbarschaft Aufmerksamkeit und Neid. Das Neukirchner Lokalblatt „Bote vom Hohenbogen“ schrieb ein paar Tage nach der Aufstellung und Einweihung, ohne den Kötztinger Brunnen mit einem Wort zu erwähnen (das Klima zwischen beiden Märkten war damals wegen eines gescheiterten Eisenbahnprojektes im Hohenbogenwinkel frostig): „Der hiesige Wallfahrtsverein plant für einen Wallfahrtsort schon längst zeitgemäße Aufstellung einer schönen Mariensäule auf dem hiesigen Marktplatz. Dieses Projekt begrüßen wir aufs freudigste, und würde es gewiß die ganze Muttergottespfarrei begeistern, wenn es recht bald realisiert würde.“
Den Kötztingern ist der Marienbrunnen ans Herz gewachsen, aus dem Stadtbild ist er nicht mehr wegzudenken. Wenn es nottut, wird er renoviert, wie erst heuer geschehen. Und genau vor zehn Jahren zierte die „Marienstatue am Stadtplatz“ die Plakette des Kötztinger Bürgerfestes.

Quellen:
Stadtarchiv Kötzting:
  – 631/61 Marienbrunnen
  – 002/1 Familienstandsbögen
  – XIX/9 Beschlußbücher des Magistrats 1900/1903
  – XXVIII Wasserleitungskassa 1903
  – Karl von Paur: Chronik des Marktes Kötzting, Manuskript
Bote vom Hohenbogen 19. 6. 1903
 

Anton August Henneberger
Über Leben und Werk August Hennebergers konnten nur spärliche Daten ermittelt werden. Er wurde am 15. Januar 1873 in Kötzting geboren. Seine Eltern waren Anton Henneberger, Buchbinder, und Theres, geb. Obermeier, Pfarrmesnerstochter. Von etwa 1891 bis 1901 ließ er sich in München zum Bildhauer ausbilden. Um 1904 ging er nach Hamburg-Altona, wo er an der Kunstgewerbeschule als Lehrer angestellt wurde. 1905 heiratete er Margarete Berta Sofia Charlotte Maria von Zach (geb. 29. 2. 1872) und erwarb die preußische Staatsangehörigkeit.
Obwohl ihm Kötztings Markträte den Auftrag für den Brunnen am St. Veitsplatz verweigerten, vergaß er seine Heimat nicht. 1945 malte er ein einzigartiges Dokument des Kötztinger Pfingst-ritts: Die Spitze der Prozession reitet in der Marktstraße an einem Panzer vorbei, auf dem sich amerikanische Besatzungssoldaten lümmeln. Zur Stadterhebung 1953 schenkte der 80jährige der Stadt einen aus Eiche kraftvoll geschnitzten Pfingstreiter (beides im neuen Rathaus). In Kötzting ist er als „der Professor Henneberger“ in Erinnerung.